∞Fauſt. Mephiſtopheles.
∞Fauſt.
— — — — — — —
1770Und was der ganzen Menſchheit zugetheilt iſt,
1771Will ich in meinen innern Selbſt genießen,
1772Mit meinem Geiſt das Höchſt’ und Tiefſte greifen,
1773Ihr Wohl und Weh auf meinen Buſen häufen,
1774Und ſo mein eigen Selbſt zu Ihrem Selbſt erweitern,
1775Und, wie ſie ſelbſt, am End’ auch ich zerſcheitern.
∞Mephiſtopheles.
1776O glaube mir, der manche tauſend Jahre
1777An dieſer harten Speiſe kaut,
1778Daß in der Wieg’ und auf der Bahre
1779Kein Menſch den alten Sauerteig verdaut!
1780Glaub’ unſer einem, dieſes Ganze
1781Iſt nur für einen Gott gemacht;
1782Er findet ſich in einem ew’gen Glanze,
1783Uns hat er in die Finſterniß gebracht,
1784Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
∞Mephiſtopheles.
1785Das läßt ſich hören!
1786Doch nur vor Einem iſt mir bang’;
1787Die Zeit iſt kurz, die Kunſt iſt lang.
1788Ich dächt’ ihr ließet euch belehren.
1789Aſſociirt euch mit einem Poeten,
1790Laßt den Herrn in Gedanken ſchweifen,
1791Und alle edle Qualitäten
1792Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
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1793Des Löwen Muth,
1794Des Hirſches Schnelligkeit,
1795Des Italiäners feurig Blut,
1796Des Nordens Dau’rbarkeit.
1797Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
1798Großmuth und Argliſt zu verbinden,
1799Und euch mit warmen Jugendtrieben
1800Nach einem Plane zu verlieben.
1801Möchte ſelbſt ſolch einen Herren kennen,
1802Würd’ ihn Herr Mikrokosmus nennen.
∞Fauſt.
1803Was bin ich denn, wenn es nicht möglich iſt
1804Der Menſchheit Kronen zu erringen,
1805Nach der ſich alle Sinne dringen?
∞Mephiſtopheles.
1806Du biſt am Ende — was du biſt.
1807Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
1808Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
1809Du bleibſt doch immer was du biſt.
∞Fauſt.
1810Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
1811Des Menſchengeiſt’s auf mich herbeygerafft,
1812Und wenn ich mich am Ende niederſetze,
1813Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
1814Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815Bin dem Unendlichen nicht näher.
∞Mephiſtopheles.
1816Mein guter Herr, ihr ſeht die Sachen,
1817Wie man die Sachen eben ſieht;
1818Wir müſſen das geſcheidter machen,
1819Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
1820Was Henker! freylich Händ und Füße
1821Und Kopf und H — — die ſind dein;
1822Doch alles was ich friſch genieße,
1823Iſt das drum weniger mein?
1824Wenn ich ſechs Hengſte zahlen kann,
1825Sind ihre Kräfte nicht die meine?
1826Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
1827Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
1828Drum friſch! laß alles Sinnen ſeyn,
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1829Und g’rad’ mit in die Welt hinein.
1830Ich ſag’ es dir: ein Kerl, der ſpeculiert,
1831Iſt wie ein Thier, auf einer Heide
1832Von einem böſen Geiſt im Kreis herum geführt,
1833Und rings umher liegt ſchöne grüne Weide.
∞Mephiſtopheles.
1834Wir gehen eben fort.
1835Was iſt das für ein Marterort?
1836Was heißt das für ein Leben führen,
1837Sich und die Jungens ennüyieren?
1838Laß du das dem Herrn Nachbar Wanſt!
1839Was willſt du dich das Stroh zu dreſchen plagen?
1840Das beſte, was du wiſſen kannſt,
1841Darfſt du den Buben doch nicht ſagen.
1842Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
∞Mephiſtopheles.
1844Der arme Knabe wartet lange,
1845Der darf nicht ungetröſtet gehn.
1846Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
1847Die Maske muß mir köſtlich ſtehn.
∞Er kleidet ſich um.
1848Nun überlaß es meinem Witze!
1849Ich brauche nur ein Viertelſtündchen Zeit;
1850Indeſſen mache dich zur ſchönen Fahrt bereit!
∞Fauſt ab.
∞Mephiſtopheles
∞in Fauſts langem
Kleide.
1851Verachte nur Vernunft und Wiſſenſchaft,
1852Des Menſchen allerhöchſte Kraft,
1853Laß nur in Blend- und Zauberwerken
1854Dich von dem Lügengeiſt beſtärken,
1855So hab’ ich dich ſchon unbedingt —
1856Ihm hat das Schickſal einen Geiſt gegeben,
1857Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
1858Und deſſen übereiltes Streben
25
1859Der Erde Freuden überſpringt.
1860Den ſchlepp’ ich durch das wilde Leben,
1861Durch flache Unbedeutenheit,
1862Er ſoll mir zappeln, ſtarren, kleben,
1863Und ſeiner Unerſättlichkeit
1864Soll Speiſ’ und Trank vor gier’gen Lippen ſchweben;
1865Er wird Erquickung ſich umſonſt erflehn,
1866Und hätt’ er ſich auch nicht dem Teufel übergeben,
1867Er müßte doch zu Grunde gehn!
∞
Ein Schüler tritt auf.
∞Schüler.
1868Ich bin allhier erſt kurze Zeit,
1869Und komme voll Ergebenheit,
1870Einen Mann zu ſprechen und zu kennen,
1871Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.
∞Mephiſtopheles.
1872Eure Höflichkeit erfreut mich ſehr!
1873Ihr ſeht einen Mann wie andre mehr.
1874Habt ihr euch ſonſt ſchon umgethan?
∞Schüler.
1875Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an.
1876Ich komme mit allem guten Muth,
1877Leidlichem Geld und friſchem Blut,
1878Meine Mutter wollte mich kaum entfernen,
1879Möchte gern ’was rechts hieraußen lernen.
∞Schüler.
1881Aufrichtig, möchte ſchon wieder fort:
1882In dieſen Mauern, dieſen Hallen,
1883Will es mir keineswegs gefallen.
1884Es iſt ein gar beſchränkter Raum,
1885Man ſieht nichts grünes, keinen Baum,
1886Und in den Sälen, auf den Bänken,
1887Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.
∞Mephiſtopheles.
1888Das kommt nur auf Gewohnheit an.
1889So nimmt ein Kind der Mutter Bruſt
1890Nicht gleich im Anfang willig an,
27
1891Doch bald ernährt es ſich mit Luſt.
1892So wird’s euch an der Weisheit Brüſten
1893Mit jedem Tage mehr gelüſten.
∞Schüler.
1894An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895Doch ſagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
∞Schüler.
1898Ich wünſchte recht gelehrt zu werden,
1899Und möchte gern, was auf der Erden
1900Und in den Himmel iſt, erfaſſen,
1901Die Wiſſenſchaft und die Natur.
∞Mephiſtopheles.
1902Da ſeyd ihr auf der rechten Spur,
1903Doch müßt ihr euch nicht zerſtreuen laſſen.
∞Schüler.
1904Ich bin dabey mit Seele und Leib;
1905Doch freylich würde mir behagen
28
1906Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib
1907An ſchönen Sommerfeiertagen.
∞Mephiſtopheles.
1908Gebraucht der Zeit, ſie geht ſo ſchnell von hinnen,
1909Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
1911Zuerſt Collegium Logicum.
1912Da wird der Geiſt auch wohl dreſſirt,
1913In Spaniſche Stiefeln eingeſchnürt,
1914Daß er bedächtiger ſo fort an
1915Hinſchleiche die Gedankenbahn,
1916Und nicht etwa die kreuz und quer
1917Irlichtelire hin und her.
1918Dann lehret man euch manchen Tag,
1919Daß, was ihr ſonſt auf einen Schlag
1920Getrieben, wie Eſſen und Trinken frey,
1921Eins! Zwey! Drey! dazu
nöthig ſey.
1922Zwar iſt’s mit der Gedanken-Fabrik
1923Wie mit einem Weber-Meiſterſtück,
1924Wo Ein Tritt tauſend Fäden regt,
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1925Die Schifflein herüber hinüber ſchießen,
1926Die Fäden ungeſehen fließen,
1927Ein Schlag tauſend Verbindungen ſchlägt:
1928Der Philoſoph der tritt herein,
1929Und beweiſ’t euch, es müßt’ ſo ſeyn.
1930Das Erſt’ wär’ ſo, das Zweyte ſo,
1931Und drum das Dritt’ und Vierte ſo;
1932Und wenn das Erſt’ und Zweyt’ nicht wär’,
1933Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
1934Das preiſen die Schüler aller Orten,
1935Sind aber keine Weber geworden.
1936Wer will ’was lebendig’s erkennen und beſchreiben,
1937Sucht erſt den Geiſt heraus zu treiben,
1938Dann hat er die Theile in ſeiner Hand,
1939Fehlt leider! nur das geiſtige Band.
1940Encheireſin naturae nennt’s die
Chimie!
1941Spottet ihrer ſelbſt, und weiß nicht wie.
∞Mephiſtopheles.
1943Das wird nächſtens ſchon beſſer gehen,
1944Wenn ihr lernt alles reduciren
1945Und gehörig klaſſificiren.
∞Mephiſtopheles.
1948Nachher vor allen andern Sachen
1949Müßt ihr euch an die Metaphyſik machen!
1950Da ſeht, daß ihr tiefſinnig faßt,
1951Was in des Menſchen Hirn nicht paßt;
1952Für, was drein geht und nicht drein geht,
1953Ein prächtig Wort zu Dienſten ſteht.
1954Doch vorerſt dieſes halbe Jahr
1955Nehmt ja der beſten Ordnung wahr.
1956Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
1957Seyd drinne mit dem Glockenſchlag!
1958Habt euch vorher wohl präparirt,
1959Paragraphos wohl einſtudirt,
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1960Damit ihr nachher beſſer ſeht,
1961Daß er nichts ſagt, als was im Buche ſteht;
1962Doch euch des Schreibens ja befleißt,
1963Als dictirt’ euch der Heilig’ Geiſt!
∞Schüler.
1964Das ſollt ihr mir nicht zweymal ſagen!
1965Ich denke mir wie viel es nützt;
1966Denn, was man ſchwarz auf weiß beſitzt,
1967Kann man getroſt nach Hauſe tragen.
∞Mephiſtopheles.
1970Ich kann es euch ſo ſehr nicht übel nehmen,
1971Ich weiß wie es um dieſe Lehre ſteht.
1972Es erben ſich Geſetz’ und Rechte,
1973Wie eine ew’ge Krankheit, fort,
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1974Sie ſchleppen von Geſchlecht ſich zum Geſchlechte,
1975Und rücken ſacht von Ort zu Ort.
1976Vernunft wird Unſinn, Wohlthat Plage;
1977Weh dir, daß du ein Enkel biſt!
1978Vom Rechte, das mit uns geboren iſt,
1979Von dem iſt leider! nie die Frage.
∞Schüler.
1980Mein Abſcheu wird durch euch vermehrt.
1981O glücklich der, den ihr belehrt!
1982Faſt möcht’ ich nun Theologie ſtudiren.
∞Mephiſtopheles.
1983Ich wünſchte nicht euch irre zu führen.
1984Was dieſe Wiſſenſchaft betrifft,
1985Es iſt ſo ſchwer den falſchen Weg zu meiden,
1986Es liegt in ihr ſo viel verborgnes Gift,
1987Und von der Arzeney iſt’s kaum zu unterſcheiden.
1988Am beſten iſt’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
1989Und auf des Meiſters Worte ſchwört.
33
1990Im Ganzen — haltet euch an Worte!
1991Dann geht ihr durch die ſichre Pforte
1992Zum Tempel der Gewißheit ein.
∞Mephiſtopheles.
1994Schon gut! Nur muß man ſich nicht allzu ängſtlich
quälen,
1995Denn eben wo Begriffe fehlen,
1996Da ſtellt ein Wort zur rechten Zeit ſich ein.
1997Mit Worten läßt ſich trefflich ſtreiten,
1998Mit Worten ein Syſtem bereiten,
1999An Worte läßt ſich trefflich glauben,
2000Von einem Wort läßt ſich kein Jota rauben.
∞Schüler.
2001Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
2002Allein, ich muß euch noch bemüh’n.
2003Wollt ihr mir von der Medicin
2004Nicht auch ein kräftig Wörtchen ſagen?
2005Drey Jahr’ iſt eine kurze Zeit,
2006Und, Gott! das Feld iſt gar zu weit.
34
2007Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
2008Läßt ſich’s ſchon eher weiter fühlen.
∞Mephiſtopheles
∞für ſich.
2009Ich bin des trocknen Tons nun ſatt,
2010Muß wieder recht den Teufel ſpielen.
∞Laut.
2011Der Geiſt der Medicin iſt leicht zu faſſen;
2012Ihr durchſtudirt die groß’ und kleine Welt,
2013Um es am Ende gehn zu laſſen,
2014Wie’s Gott gefällt.
2015Vergebens daß ihr ringsum wiſſenſchaftlich ſchweift,
2016Ein jeder lernt nur was er lernen kann.
2017Doch der den Augenblick ergreift,
2018Das iſt der rechte Mann.
2019Ihr ſeyd noch ziemlich wohl gebaut,
2020An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
2021Und wenn ihr euch nur ſelbſt vertraut,
2022Vertrauen euch die andern Seelen.
2023Beſonders lernt die Weiber führen;
2024Es iſt ihr ewig Weh und Ach
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2025So tauſendfach
2026Aus Einem Puncte zu curiren,
2027Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
2028Dann habt ihr ſie all’ unter’m Hut.
2029Ein Titel muß ſie erſt vertraulich machen,
2030Daß eure Kunſt viel Künſte überſteigt,
2031Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach
allen Siebenſachen,
2032Um die ein andrer viele Jahre ſtreicht,
2033Verſteht das Pülslein wohl zu drücken,
2034Und faſſet ſie, mit feurig ſchlauen Blicken,
2035Wohl um die ſchlanke Hüfte frey,
2036Zu ſeh’n, wie feſt geſchnürt ſie ſey.
∞Schüler.
2040Ich ſchwör’ euch zu, mir iſt’s als wie ein Traum.
2041Dürft’ ich euch wohl ein andermal beſchweren,
2042Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
∞Schüler.
2044Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen.
2046Gönn’ eure Gunſt mir dieſes Zeichen!
∞Er ſchreibt und
gibt’s.
∞Macht’s ehrerbiethig zu und
empfiehlt ſich.
37
∞Mephiſtopheles.
2049Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muhme
der Schlange,
2050Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit bange!
∞Fauſt tritt auf.
∞Mephiſtopheles.
2051Wohin es dir gefällt.
2052Wir ſehn die kleine, dann die große Welt.
2053Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
2054Wirſt du den Curſum durchſchmarutzen!
∞Fauſt.
2055Allein mit meinem langen Bart
2056Fehlt mir die leichte Lebensart.
2057Es wird mir der Verſuch nicht glücken;
2058Ich wußte nie mich in die Welt zu ſchicken.
2059Vor andern fühl’ ich mich ſo klein;
2060Ich werde ſtets verlegen ſeyn.
∞Mephiſtopheles.
2061Mein guter Freund, das wird ſich alles geben,
2062Sobald du dir vertrauſt, ſobald weißt du zu leben.
∞Mephiſtopheles.
2065Wir breiten nur den Mantel aus,
2066Der ſoll uns durch die Lüfte tragen.
2067Du nimmſt bey dieſem kühnen Schritt
2068Nur keinen großen Bündel mit.
2069Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070Hebt uns behend von dieſer Erde.
2071Und ſind wir leicht, ſo geht es ſchnell hinauf;
2072Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf.