Goethe’s Werke.
Vollſtändige Ausgabe letzter Hand.
Vierter Band. Unter des durchlauchtigſten deutſchen Bundes ſchützenden Privilegien.
Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. 1827.
220
Zwey Teufelchen tauchen aus der rechten Verſenkung.
229
Zu Fauſt.
Zwey Teufelchen tauchen aus der rechten Verſenkung.
A.
Nun, ſagt’ ich’s nicht, da ſind wir ja!
B.
(ſie ſind herausgetreten.)
Das ging geſchwind! wo iſt denn der Papa?
Wir kriegen’s ab für unſern Frevel.
A.
Amor mit
übereinander geſchlagenen Füßen und Händen wird durch die Verſenkung
links ſchlafend hervorgehoben.
Er iſt nicht weit, es riecht hier ſtark nach Schwefel.
Wir gehn drauf los, ſo ſind wir bald am Ziel.
B.
Sieh dort!
A.
Was gibt’s?
B.
221
Da kommt noch ein Geſpiel.
O der iſt garſtig! der iſt greulich!
A.
So weiß und roth, das find’ ich ganz abſcheulich.
B.
Und Flügel hat er wie ein Strauß.
A.
Ich lobe mir die Fledermaus.
B.
Es lüſtet mich ihn aufzuwecken.
A.
Den Laffen müſſen wir erſchrecken.
A, a! E, e! I, i! O! U!
B.
Er regt ſich, ſtill! wir horchen zu.
Amor
an die Zuſchauer.
In welches Land ich auch gekommen,
Fremd, einſam werd’ ich nirgend ſeyn.
Erſchein’ ich — Herzen ſind entglommen,
Geſellig finden ſie ſich ein;
Verſchwind’ ich, jeder ſteht allein.
A.
nachäffend.
222
Allein.
B.
Allein.
Beide.
Wir beide ſind doch auch zu zweyn.
Amor.
Ja die Geſellſchaft iſt darnach!
A.
Er muckt noch!
B.
Sing’ ihm was zur Schmach!
A.
Das ärmliche Bübchen!
O wärmt mir das Stübchen,
Es klappert, es friert.
B.
O wie das Kaninchen,
Das Hermelinchen,
Sich windet, ſich ziert!
Amor.
(in den Hintergrund.)
223
Vergebens wirſt du dich erbittern,
Du garſtig Fratzenangeſicht!
Verluſt der Neigung macht mich zittern,
Allein der Haß erſchreckt mich nicht.
B.
Das iſt mir wohl ein ſaubres Hähnchen!
A.
Ein wahres derbes Grobiänchen!
B.
Gewiß ein Schalk wie ich und du.
A.
Komm, ſehn wir etwas näher zu!
Wir wollen ihn mit Schmeicheln kirren.
B.
Das kleine Köpfchen leicht verwirren,
So gut als ob’s ein großer wär!
(beide verneigend:)
Wo kommt der ſchöne Herr denn her?
Von unſersgleichen gibt es Hundert;
Nun ſtehn wir über ihn verwundert.
Amor.
224
Aus dieſen krummgebognen Rücken,
Aus den verdrehten Feuerblicken,
Will immer keine Demuth blicken;
Ihr mögt euch winden, mögt euch bücken,
Euch kleidet beſſer Trotz und Grimm.
Ja, ihr verwünſchten Angeſichter,
Du erzplutoniſches Gelichter,
Das was du wiſſen willſt, vernimm!
Ich liebe von Parnaſſus Höhen
Zur Pracht des Göttermahls zu gehen,
Dann iſt der Gott zum Gott entzückt.
Apoll verbirgt ſich unter Hirten,
Doch alle müſſen mich bewirthen,
Und Hirt und König iſt beglückt.
Bereit’ ich Jammer einem Herzen,
Dem wird das größte Glück zu Theil.
Wer freuet ſich nicht meiner Schmerzen!
Der Schmerz iſt mehr als alles Heil.
A und B.
Nun iſt’s heraus und offenbar;
So kannſt du uns gefallen!
Erlogen iſt das Flügelpaar,
Die Pfeile, die ſind Krallen.
Die Hörnerchen verbirgt der Kranz:
Er iſt ohn’ allen Zweifel,
Wie alle Götter Griechenlands,
Auch ein verkappter Teufel.
Amor.
Ihr zieht mich nicht in eure Schmach!
Ich freue mich am goldnen Pfeil und Bogen,
Und kommt denn auch der Teufel hinten nach,
Bin ich ſchon weit hinweggeflogen.
229
Helena klaſſiſch-romantiſche Phantasmagorie.
Zwiſchenſpiel zu Fauſt. 231
Zwiſchenſpiel zu Fauſt. 231
∞
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263
∞Vor dem Pallaſte des Menelas zu Sparta.
∞Helena.
8488Bewundert viel und viel geſcholten Helena
8489Vom Strande komm’ ich wo wir erſt gelandet ſind,
8490Noch immer trunken von des Gewoges regſamem
8491Geſchaukel, das vom phrygiſchen Blachgefild uns her
8492Auf ſträubig-hohem Rücken, durch Poſeidons Gunſt
8493Und Euros Kraft in vaterländiſche Buchten trug.
8494Dort unten freuet nun der König Menelas
8495Der Rückkehr ſammt den tapferſten ſeiner Krieger ſich.
8496Du aber heiße mich willkommen, hohes Haus,
8497Das Tyndareos, mein Vater, nah dem Hange ſich
8498Von Pallas Hügel wiederkehrend aufgebaut,
8499Und als ich hier mit Klytämneſtren ſchweſterlich,
8500Mit Caſtor auch und Pollux fröhlich ſpielend wuchs,
8501Vor allen Häuſern Spartas, herrlich ausgeſchmückt.
8502Gegrüßet ſeyd mir der eh’rnen Pforte Flügel ihr,
8503Durch euer gaſtlich ladendes Weiteröffnen einſt
8504Geſchah’s daß mir, erwählt aus vielen, Menelas
8505In Bräutigams-Geſtalt entgegen leuchtete.
232
8506Eröffnet mir ſie wieder, daß ich ein Eilgebot
8507Des Königs treu erfülle, wie der Gattin ziemt.
8508Laßt mich hinein! und alles bleibe hinter mir,
8509Was mich umſtürmte bis hieher, verhängnißvoll.
8510Denn ſeit ich dieſe Stelle ſorgenlos verließ,
8511Cytherens Tempel beſuchend, heiliger Pflicht gemäß,
8512Mich aber dort ein Räuber griff, der phrygiſche,
8513Iſt viel geſchehen, was die Menſchen weit und breit
8514So gern erzählen, aber der nicht gerne hört
8515Von dem die Sage wachſend ſich zum Mährchen ſpann.
∞Chor.
8516Verſchmähe nicht, o herrliche Frau,
8517Des höchſten Gutes Ehrenbeſitz!
8518Denn das größte Glück iſt dir einzig beſchert,
8519Der Schönheit Ruhm der vor allen ſich hebt.
8520Dem Helden tönt ſein Name voran,
8521Drum ſchreitet er ſtolz,
8522Doch beugt ſogleich hartnäckigſter Mann
8523Vor der allbezwingenden Schöne den Sinn.
∞Helena.
8524Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeſchifft
8525Und nun von ihm zu ſeiner Stadt vorausgeſandt;
8526Doch welchen Sinn er hegen mag errath’ ich nicht.
8527Komm’ ich als Gattin? komm’ ich eine Königin?
8528Komm’ ich ein Opfer für des Fürſten bittern Schmerz
8529Und für der Griechen lang’erduldetes Mißgeſchick?
8530Erobert bin ich, ob gefangen weiß ich nicht!
233
8531Denn Ruf und Schickſal beſtimmten fürwahr die Unſterblichen
8532Zweydeutig mir, der Schöngeſtalt bedenkliche
8533Begleiter, die an dieſer Schwelle mir ſogar
8534Mit düſter drohender Gegenwart zur Seite ſtehn.
8535Denn ſchon im hohlen Schiffe blickte mich der Gemahl
8536Nur ſelten an, auch ſprach er kein erquicklich Wort.
8537Als wenn er Unheil ſänne ſaß er gegen mir.
8538Nun aber, als des Eurotas tiefem Buchtgeſtad
8539Hinangefahren der vordern Schiffe Schnäbel kaum
8540Das Land begrüßten, ſprach er, wie vom Gott bewegt:
8541Hier ſteigen meine Krieger, nach der Ordnung, aus,
8542Ich muſtre ſie am Strand des Meeres hingereiht,
8543Du aber ziehe weiter, ziehe des heiligen
8544Eurotas fruchtbegabtem Ufer immer auf,
8545Die Roſſe lenkend auf der feuchten Wieſe Schmuck,
8546Bis daß zur ſchönen Ebene du gelangen magſt,
8547Wo Lakedämon einſt ein fruchtbar weites Feld,
8548Von ernſten Bergen nah umgeben, angebaut.
8549Betrete dann das hochgethürmte Fürſtenhaus
8550Und muſtere mir die Mägde, die ich dort zurück
8551Gelaſſen, ſammt der klugen alten Schaffnerin.
8552Die zeige dir der Schätze reiche Sammlung vor,
8553Wie ſie dein Vater hinterließ und die ich ſelbſt
8554In Krieg und Frieden, ſtets vermehrend, aufgehäuft.
8555Du findeſt alles nach der Ordnung ſtehen: denn
8556Das iſt des Fürſten Vorrecht daß er alles treu
8557In ſeinem Hauſe, wiederkehrend, finde, noch
8558An ſeinem Platze jedes wie er’s dort verließ.
8559Denn nichts zu ändern hat für ſich der Knecht Gewalt.
∞Chor.
8560Erquicke nun am herrlichen Schatz,
8561Dem ſtets vermehrten, Augen und Bruſt;
8562Denn der Kette Zier, der Krone Geſchmuck
8563Da ruhn ſie ſtolz und ſie dünken ſich was;
8564Doch tritt nur ein und fordre ſie auf,
8565Sie rüſten ſich ſchnell.
8566Mich freuet zu ſehn Schönheit in dem Kampf
8567Gegen Gold und Perlen und Edelgeſtein.
∞Helena.
8568Sodann erfolgte des Herren ferneres Herrſcherwort:
8569Wenn du nun alles nach der Ordnung durchgeſehn,
8570Dann nimm ſo manchen Dreyfuß als du nöthig glaubſt
8571Und mancherlei Gefäße die der Opfrer ſich
8572Zur Hand verlangt, vollziehend heiligen Feſtgebrauch.
8573Die Keſſel, auch die Schalen, wie das flache Rund,
8574Das reinſte Waſſer aus der heiligen Quelle ſey
8575In hohen Krügen, ferner auch das trockne Holz,
8576Der Flammen ſchnell empfänglich, halte da bereit,
8577Ein wohlgeſchliffnes Meſſer fehle nicht zuletzt;
8578Doch alles andre geb’ ich deiner Sorge hin.
8579So ſprach er, mich zum Scheiden drängend; aber nichts
8580Lebendigen Athems zeichnet mir der Ordnende
8581Das er, die Olympier zu verehren, ſchlachten will.
8582Bedenklich iſt es, doch ich ſorge weiter nicht
8583Und alles bleibe hohen Göttern heimgeſtellt,
8584Die das vollenden, was in ihrem Sinn ſie däucht,
235
8585Es möge gut von Menſchen, oder möge bös
8586Geachtet ſeyn, die Sterblichen wir ertragen das.
8587Schon manchmal hob das ſchwere Beil der Opfernde
8588Zu des erdgebeugten Thieres Nacken weihend auf,
8589Und konnt’ es nicht vollbringen, denn ihn hinderte
8590Des nahen Feindes oder Gottes Zwiſchenkunft.
∞Chor.
8591Was geſchehen werde ſinnſt du nicht aus,
8592Königin ſchreite dahin
8593Guten Muths.
8594Gutes und Böſes kommt
8595Unerwartet dem Menſchen;
8596Auch verkündet glauben wir’s nicht.
8597Brannte doch Troja, ſahen wir doch
8598Tod vor Augen, ſchmählichen Tod;
8599Und ſind wir nicht hier
8600Dir geſellt, dienſtbar freudig,
8601Schauen des Himmels blendende Sonne
8602Und das ſchönſte der Erde
8603Huldvoll, dich, uns Glücklichen.
∞Helena.
8604Sey’s wie es ſey! Was auch bevorſteht, mir geziemt
8605Hinaufzuſteigen ungeſäumt in das Königshaus,
8606Das lang entbehrt, und viel erſehnt, und faſt
verſcherzt,
8607Mir abermals vor Augen ſteht, ich weiß nicht wie.
8608Die Füße tragen mich ſo muthig nicht empor
8609Die hohen Stufen die ich kindiſch überſprang.
∞Chor.
8610Werfet o Schweſtern, ihr
8611Traurig gefangenen,
8612Alle Schmerzen ins Weite;
8613Theilet der Herrin Glück,
8614Theilet Helenens Glück,
8615Welche zu Vaterhauſes Herd,
8616Zwar mit ſpätzurückkehrendem
8617Aber mit deſto feſterem
8618Fuße freudig herannaht.
∞Panthalis
∞als Chorführerin.
8638Verlaſſet nun des Geſanges freudumgebnen Pfad
8639Und wendet nach der Thüre Flügeln euren Blick.
8640Was ſeh’ ich, Schweſtern? Kehret nicht die Königin,
8641Mit heftigen Schrittes Regung, wieder zu uns her?
8642Was iſt es, große Königin, was konnte dir
8643In deines Hauſes Hallen, ſtatt der Deinen Gruß,
8644Erſchütterendes begegnen? Du verbirgſt es nicht;
8645Denn Widerwillen ſeh ich an der Stirne dir
8646Ein edles Zürnen das mit Ueberraſchung kämpft.
∞Helena
∞(welche die Thürflügel
offen gelaſſen hat, bewegt).
8647Der Tochter Zeus geziemet nicht gemeine Furcht
8648Und flüchtig-leiſe Schreckenshand berührt ſie nicht;
8649Doch das Entſetzen, das dem Schoos der alten Nacht,
8650Vom Urbeginn entſteigend, vielgeſtaltet noch
8651Wie glühende Wolken, aus des Berges Feuerſchlund,
8652Herauf ſich wälzt erſchüttert auch des Helden Bruſt.
8653So haben heute grauenvoll die Stygiſchen
8654In’s Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern
8655Von oft betretner, langerſehnter Schwelle mich,
8656Entlaßnem Gaſte gleich, entfernend ſcheiden mag.
8657Doch nein! gewichen bin ich her an’s Licht, und ſollt
8658Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr ſeyd.
8659Auf Weihe will ich ſinnen, dann gereinigt mag
8660Des Herdes Gluth die Frau begrüßen wie den Herrn.
∞Chorführerin.
8661Entdecke deinen Dienerinnen, edle Frau,
8662Die dir verehrend beiſtehn, was begegnet iſt.
∞Helena.
8663Was ich geſehen ſollt ihr ſelbſt mit Augen ſehn,
8664Wenn ihr Gebilde nicht die alte Nacht ſogleich
8665Zurück geſchlungen in ihrer Tiefe Wunderſchoos.
8666Doch daß ihr’s wiſſet, ſag’ ich’s euch mit Worten an:
8667Als ich des Königs-Hauſes ernſten Binnenraum,
8668Der nächſten Pflicht gedenkend, feyerlich betrat,
8669Erſtaunt’ ich ob der öden Gänge Schweigſamkeit.
8670Nicht Schall der emſig wandelnden begegnete
8671Dem Ohr, nicht raſchgeſchäftiges Eiligthun dem Blick,
8672Und keine Magd erſchien mir, keine Schaffnerin
8673Die jeden Fremden freundlich ſonſt begrüßenden.
8674Als aber ich dem Schooße des Herdes mich genaht,
8675Da ſah’ ich, bei verglommner Aſche lauem Reſt,
8676Am Boden ſitzen welch verhülltes großes Weib,
8677Der Schlafenden nicht vergleichbar, wohl der Sinnenden.
8678Mit Herrſcherworten ruf’ ich ſie zur Arbeit auf,
8679Die Schaffnerin mir vermuthend, die indeß vielleicht
8680Des Gatten Vorſicht hinterlaſſend angeſtellt;
8681Doch eingefaltet ſitzt die unbewegliche;
8682Nur endlich rührt ſie, auf mein Dräun, den rechten Arm,
8683Als wieſe ſie von Herd und Halle mich hinweg.
8684Ich wende zürnend mich ab von ihr und eile gleich
8685Den Stufen zu, worauf empor der Thalamos
239
8686Geſchmückt ſich hebt und nah daran das Schatzgemach;
8687Allein das Wunder reißt ſich ſchnell vom Boden auf,
8688Gebietriſch mir den Weg vertretend, zeigt es ſich
8689In hagrer Größe, hohlen, blutig-trüben Blicks,
8690Seltſamer Bildung, wie ſie Aug und Geiſt verwirrt.
8691Doch red’ ich in die Lüfte; denn das Wort bemüht
8692Sich nur umſonſt Geſtalten ſchöpferiſch aufzubaun.
8693Da ſeht ſie ſelbſt! ſie wagt ſogar ſich an’s Licht
hervor!
8694Hier ſind wir Meiſter, bis der Herr und König kommt.
8695Die grauſen Nachtgeburten drängt der Schönheitsfreund,
8696Phöbus hinweg in Höhlen, oder bändigt ſie.
∞Phorkyas (auf der Schwelle zwiſchen den Thürpfoſten
auftretend.)
∞Chor.
8697Vieles erlebt’ ich, obgleich die Locke
8698Jugendlich wallet mir um die Schläfe!
8699Schreckliches hab’ ich vieles geſehen,
8700Kriegriſchen Jammer, Ilios Nacht,
8701Als es fiel.
8702Durch das umwölkte, ſtaubende Toſen,
8703Drängender Krieger hört’ ich die Götter
8704Fürchterlich rufen, hört’ ich der Zwietracht
8705Eherne Stimme ſchallen durch’s Feld,
8706Mauerwärts.
8707Ach, ſie ſtanden noch, Ilios
8708Mauern, aber die Flammengluth
8709Zog vom Nachbar zum Nachbar ſchon
8710Sich verbreitend von hier und dort
8711Mit des eignen Sturmes Wehn
8712Ueber die nächtliche Stadt hin.
8713Flüchtend ſah ich, durch Rauch und Gluth
8714Und der züngelnden Flamme Lohe
8715Gräßlich zürnender Götter Nahn,
8716Schreitend Wundergeſtalten
8717Rieſengroß durch düſteren
8718Feuerumleuchteten Qualm hin.
8719S[a]h’ ich’s,
oder bildete
8720Mir der angſtumſchlungene Geiſt
8721Solches Verworrene? ſagen kann
8722Nimmer ich’s, doch daß ich dieß
8723Gräßliche hier mit Augen ſchau
8724Solches gewiß ja weiß ich;
8725Könnt’ es mit Händen faſſen gar
8726Hielte von dem Gefährlichen
8727Nicht zurücke die Furcht mich
8728Welche von Phorkys
8729Töchtern nur biſt du?
8730Denn ich vergleiche dich
8731Dieſem Geſchlechte.
241
8732Biſt du vielleicht der graugebornen,
8733Eines Auges und Eines Zahns
8734Wechſelsweis theilhaftigen,
8735Graien eine gekommen?
8736Wageſt du Scheuſal
8737Neben der Schönheit
8738Dich vor dem Kennerblick
8739Phöbus zu zeigen?
8740Tritt du dennoch hervor nur immer
8741Denn das Häßliche ſchaut Er nicht.
8742Wie ſein heilig Auge noch
8743Nie erblickte den Schatten.
∞Phorkyas.
8754Alt iſt das Wort, doch bleibet hoch und wahr der
Sinn,
8755Daß Scham und Schönheit nie zuſammen, Hand in Hand,
8756Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.
8757Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Haß,
8758Daß wo ſie immer irgend auch des Weges ſich
8759Begegnen, jede der Gegnerin den Rücken kehrt.
8760Dann eilet jede wieder heftiger, weiter fort,
8761Die Scham betrübt, die Schönheit aber frech geſinnt,
8762Bis ſie zuletzt des Orkus hohle Nacht umfängt,
8763Wenn nicht das Alter ſie vorher gebändigt hat.
8764Euch find’ ich nun, ihr frechen, aus der Fremde her
8765Mit Uebermuth ergoſſen, gleich der Kraniche
8766Laut-heiſer klingendem Zug, der über unſer Haupt,
8767In langer Wolke, krächzend ſein Getön herab
8768Schickt, das den ſtillen Wandrer über ſich hinauf
8769Zu blicken lockt; doch ziehn ſie ihren Weg dahin,
8770Er geht den ſeinen, alſo wird’s mit uns geſchehn.
8771Wer ſeyd denn ihr? daß ihr des Königes
Hochpallaſt
8772Mänadiſch wild, Betrunknen gleich umtoben dürft?
8773Wer ſeyd ihr denn, daß ihr des Hauſes Schaffnerin
8774Entgegen heulet, wie dem Mond der Hunde Schaar?
8775Wähnt ihr, verborgen ſey mir welch Geſchlecht ihr
ſeyd,
8776Du kriegerzeugte, ſchlachterzogne, junge Brut?
8777Mannluſtige du, ſo wie verführt verführende,
8778Entnervend beide, Kriegers auch und Bürgers Kraft.
8779Zu Hauf euch ſehend ſcheint mir ein Cicaden-Schwarm
243
8780Herabzuſtürzen, deckend grüne Felderſaat.
8781Verzehrerinnen fremden Fleißes! Naſchende
8782Vernichterinnen aufgekeimten Wohlſtands ihr,
8783Erobert, marktverkauft, vertauſchte Waare du!
∞Helena.
8784Wer gegenwarts der Frau die Dienerinnen ſchilt,
8785Der Gebiet’rin Hausrecht taſtet er vermeſſen an;
8786Denn ihr gebührt allein das Lobenswürdige
8787Zu rühmen, wie zu ſtrafen was verwerflich iſt.
8788Auch bin des Dienſtes ich wohl zufrieden, den ſie mir
8789Geleiſtet als die hohe Kraft von Ilios
8790Umlagert ſtand und fiel und lag; nicht weniger
8791Als wir der Irrfahrt kummervolle Wechſelnoth
8792Ertrugen, wo ſonſt jeder ſich der nächſte bleibt.
8793Auch hier erwart’ ich gleiches von der muntern Schaar;
8794Nicht was der Knecht ſey, fragt der Herr, nur wie er
dient,
8795Drum ſchweige du und grinſe ſie nicht länger an.
8796Haſt du das Haus des Königs wohl verwahrt bisher,
8797Anſtatt der Hausfrau, ſolches dient zum Ruhme dir;
8798Doch jetzo kommt ſie ſelber, tritt nun du zurück,
8799Damit nicht Strafe werde ſtatt verdienten Lohns.
∞Phorkyas.
8800Den Hausgenoſſen drohen bleibt ein großes Recht,
8801Das gottbeglückten Herrſchers hohe Gattin ſich
8802Durch langer Jahre weiſe Leitung wohl verdient.
8803Da du, nun Anerkannte! nun den alten Platz
244
8804Der Königin und Hausfrau wiederum betrittſt,
8805So faſſe längſt erſchlaffte Zügel, herrſche nun,
8806Nimm in Beſitz den Schatz und ſämmtlich uns dazu.
8807Vor allem aber ſchütze mich die ältere
8808Vor dieſer Schaar, die, neben deiner Schönheit Schwan,
8809Nur ſchlecht befittigt ſchnatterhafte Gänſe ſind.
∞(Von hier an
erwiedern die Choretiden, einzeln aus dem Chor
heraustretend.)
245
∞Helena.
8826Nicht zürnend, aber traurend ſchreit’ ich zwiſchen euch,
8827Verbietend ſolches Wechſelſtreites Ungeſtüm!
8828Denn ſchädlicheres begegnet nichts dem Herrſcherherrn
8829Als treuer Diener heimlich unterſchworner Zwiſt.
246
8830Das Echo ſeiner Befehle kehrt alsdann nicht mehr
8831In ſchnell vollbrachter That, wohlſtimmig ihm zurück,
8832Nein, eigenwillig brauſend toſ’t es um ihn her,
8833Den ſelbſtverirrten, in’s Vergeb’ne ſcheltenden.
8834Dieß nicht allein. Ihr habt in ſitteloſem Zorn,
8835Unſel’ger Bilder Schreckgeſtalten hergebannt,
8836Die mich umdrängen, daß ich ſelbſt zum Orkus mich
8837Geriſſen fühle, vaterländ’ſcher Flur zum Trutz.
8838Iſt’s wohl Gedächtniß? war es Wahn, der mich ergreift?
8839War ich das alles? Bin ich’s? Werd ich’s künftig ſeyn,
8840Das Traum- und Schreckbild jener Städteverwüſtenden?
8841Die Mädchen ſchaudern, aber du die älteſte
8842Du ſtehſt gelaſſen, rede mir verſtändig Wort.
∞Phorkyas.
8843Wer langer Jahre mannigfaltigen Glücks gedenkt,
8844Ihm ſcheint zuletzt die höchſte Göttergunſt ein Traum.
8845Du aber hochbegünſtigt, ſonder Maaß und Ziel,
8846In Lebensreihe ſahſt nur Liebesbrünſtige,
8847Entzündet raſch zum kühnſten Wagſtück jeder Art.
8848Schon Theſeus haſchte früh dich, gierig aufgeregt,
8849Wie Herakles ſtark, ein herrlich ſchön geformter Mann.
∞Helena.
8850Entführte mich, ein ſiebenjährig ſchlankes Reh,
8851Und mich umſchloß Aphidnus Burg in Attika.
∞Phorkyas.
8852Durch Caſtor und durch Pollux aber bald befreit,
8853Umworben ſtandſt du ausgeſuchter Helden-Schaar.
∞Helena.
8854Doch ſtille Gunſt vor allen, wie ich gern geſteh’,
8855Gewann Patroklus, er des Peliden Ebenbild.
∞Phorkyas.
8856Doch Vaterwille traute dich an Menelas,
8857Den kühnen Seedurchſtreicher, Hausbewahrer auch.
∞Helena.
8858Die Tochter gab er, gab des Reichs Beſtellung ihm.
8859Aus ehlichem Beiſeyn ſproßte dann Hermione.
∞Phorkyas.
8860Doch als er fern ſich Creta’s Erbe kühn erſtritt,
8861Dir Einſamen da erſchien ein allzuſchöner Gaſt.
∞Helena.
8862Warum gedenkſt du jener halben Witwenſchaft?
8863Und welch Verderben gräßlich mir daraus erwuchs?
∞Phorkyas.
8864Auch jene Fahrt mir freigebornen Creterin
8865Gefangenſchaft erſchuf ſie, lange Sclaverey.
∞Helena.
8866Als Schaffnerin beſtellt’ er dich ſogleich hieher
8867Vertrauend vieles, Burg und kühn erworbnen Schatz.
∞Phorkyas.
8868Die du verließeſt, Ilios umthürmter Stadt
8869Und unerſchöpften Liebesfreuden zugewandt.
∞Helena.
8870Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leid’s
8871Unendlichkeit ergoß ſich über Bruſt und Haupt.
∞Phorkyas.
8872Doch ſagt man, du erſchienſt ein doppelhaft Gebild,
8873In Ilios geſehen und in Aegypten auch.
∞Helena.
8874Verwirre wüſten Sinnes Aberwitz nicht gar.
8875Selbſt jetzo, welche denn ich ſey, ich weiß es nicht.
∞Phorkyas.
8876Dann ſagen ſie: aus hohlem Schattenreich herauf
8877Geſellte ſich inbrünſtig noch Achill zu dir!
8878Dich früher liebend gegen allen Geſchicks Beſchluß.
∞Helena.
8879Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.
8880Es war ein Traum, ſo ſagen ja die Worte ſelbſt.
8881Ich ſchwinde hin und werde ſelbſt mir ein Idol.
∞(Sinkt dem Halbchor in die
Arme).
249
∞Chor.
8882Schweige, ſchweige!
8883Mißblickende, mißredende du!
8884Aus ſo gräßlichen einzahnigen
8885Lippen was enthaucht wohl
8886Solchem furchtbaren Greuelſchlund.
8887Denn der bösartige wohlthätig erſcheinend,
8888Wolfesgrimm unter ſchafwolligem Vließ,
8889Mir iſt er weit ſchrecklicher als des drey-
8890köpfigen Hundes Rachen.
8891Aengſtlich lauſchend ſtehn wir da,
8892Wann? wie? wo nur bricht’s hervor
8893Solcher Tücke
8894Tiefauflauerndes Ungethüm?
∞(Helena hat ſich erholt und
ſteht wieder in der Mitte.)
∞Phorkyas.
8909Tritt hervor aus flüchtigen Wolken hohe Sonne
dieſes Tags
8910Die verſchleiert ſchon entzückte, blendend nun im
Glanze herrſcht.
8911Wie die Welt ſich dir entfaltet ſchauſt du ſelbſt mit
holdem Blick.
8912Schelten ſie mich auch für häßlich kenn’ ich doch
das Schöne wohl.
∞Helena.
8913Tret’ ich ſchwankend aus der Oede die im Schwindel
mich umgab,
8914Pflegt’ ich gern der Ruhe wieder, denn ſo müd’ iſt
mein Gebein:
8915Doch es ziemet Königinnen, allen Menſchen ziemt
es wohl
8916Sich zu faſſen, zu ermannen was auch drohend überraſcht.
∞Phorkyas.
8917Stehſt du nun in deiner Großheit, deiner Schöne vor uns
da,
8918Sagt dein Blick, daß du befiehleſt, was befiehlſt
du? ſprich es aus.
∞Helena.
8919Eures Haders frech Verſäumniß auszugleichen ſeyd bereit,
8920Eilt ein Opfer zu beſtellen wie der König mir gebot.
∞Phorkyas.
8921Alles iſt bereit im Hauſe, Schale, Dreyfuß, ſcharfes
Beil,
8922Zum Beſprengen, zum Beräuchern; das zu Opfernde zeig’
an.
∞Phorkyas.
8927Sie ſtirbt einen edlen Tod;
8928Doch am hohen Balken drinnen, der des Daches
Giebel trägt,
8929Wie im Vogelfang die Droſſeln, zappelt ihr der
Reihe nach.
∞Phorkyas.
8930Geſpenſter! — — — Gleich erſtarrten Bildern ſteht ihr
da,
8931Geſchreckt vom Tag zu ſcheiden der euch nicht gehört.
8932Die Menſchen, die Geſpenſter ſämmtlich gleich wie ihr,
8933Entſagen auch nicht willig hehrem Sonnenſchein;
8934Doch bittet, oder rettet niemand ſie vom Schluß;
253
8935Sie wiſſen’s alle, wenigen doch gefällt es nur.
8936Genug ihr ſeyd verloren! Alſo friſch an’s Werk.
∞(klatſcht in die Hände,
darauf erſcheinen an der Pforte vermummte
Zwerggeſtalten, welche die ausgeſprochenen Befehle alſobald mit
Behendigkeit ausführen.)
8937Herbei du düſtres, kugelrundes Ungethüm,
8938Wälzt euch hieher, zu ſchaden gibt es hier nach Luſt.
8939Dem Tragaltar, dem goldgehörnten, gebet Platz,
8940Das Beil, es liege blinkend über dem Silberrand,
8941Die Waſſerkrüge füllet, abzuwaſchen gibt’s
8942Des ſchwarzen Blutes greuelvolle Beſudelung.
8943Den Teppich breitet köſtlich hier am Staube hin,
8944Damit das Opfer niederkniee königlich,
8945Und eingewickelt, zwar getrennten Haupts, ſogleich
8946Anſtändig würdig, aber doch beſtattet ſey.
∞Chorführerin.
8947Die Königin ſtehet ſinnend an der Seite hier,
8948Die Mädchen welken gleich gemähtem Wieſengras;
8949Mir aber däucht, der Aelteſten, heiliger Pflicht gemäß
8950Mit dir das Wort zu wechſeln, Ur-Urälteſte.
8951Du biſt erfahren, weiſe, ſcheinſt uns gut geſinnt,
8952Ob ſchon verkennend hirnlos dieſe Schaar dich traf.
8953Drum ſage, was du möglich noch von Rettung weißt.
∞Phorkyas.
8954Iſt leicht geſagt: Von der Königin hängt allein es ab
8955Sich ſelbſt zu erhalten, euch Zugaben auch mit ihr.
8956Entſchloſſenheit iſt nöthig und die behendeſte.
∞Chor.
8957Ehrenwürdigſte der Parzen, weiſeſte Sibylle du,
8958Halte geſperrt die goldne Schere, dann verkünd’ uns
Tag und Heil;
8959Denn wir fühlen ſchon im Schweben, Schwanken, Bammeln unergetzlich
8960Unſere Gliederchen, die lieber erſt im Tanze ſich
ergetzten,
8961Ruh’ten drauf an Liebchens Bruſt.
∞Helena.
8962Laß dieſe bangen! Schmerz empfind’ ich, keine Furcht;
8963Doch kennſt du Rettung, dankbar ſey ſie anerkannt.
8964Dem Klugen, Weitumſichtigen zeigt fürwahr ſich oft
8965Unmögliches noch als möglich. Sprich und ſag es an.
∞Chor.
8966Sprich und ſage, ſag uns eilig: wie entrinnen wir
den grauſen,
8967Garſtigen Schlingen? die bedrohlich, als die
ſchlechteſten Geſchmeide,
8968Sich um unſre Hälſe ziehen. Vorempfinden wir’s,
die Armen,
8969Zum entathmen, zum erſticken, wenn du Rhea,
aller Götter
8970Hohe Mutter, dich nicht erbarmſt.
∞Phorkyas.
8971Habt ihr Geduld des Vortrags langgedehnten Zug
8972Still anzuhören? Mancherlei Geſchichten ſind’s.
∞Phorkyas.
8974Dem der zu Hauſe verharrend edlen Schatz bewahrt,
8975Und hoher Wohnung Mauern auszukitten weiß,
8976Wie auch das Dach zu ſichern vor des Regens Drang,
8977Dem wird es wohlgehn lange Lebenstage durch:
8978Wer aber ſeiner Schwelle heilige Richte leicht
8979Mit flüchtigen Sohlen überſchreitet freventlich,
8980Der findet wiederkehrend wohl den alten Platz,
8981Doch umgeändert alles, wo nicht gar zerſtört.
∞Helena.
8982Wozu dergleichen wohlbekannte Sprüche hier.
8983Du willſt erzählen, rege nicht an Verdrießliches.
∞Phorkyas.
8984Geſchichtlich iſt es, iſt ein Vorwurf keineswegs.
8985Raubſchiffend ruderte Menelas von Bucht zu Bucht,
8986Geſtad’ und Inſeln, alles ſtreift er feindlich an,
8987Mit Beute wiederkehrend, wie ſie drinnen ſtarrt.
8988Vor Ilios verbracht’ er langer Jahre zehn,
8989Zur Heimfahrt aber weiß ich nicht wie viel es war.
8990Allein wie ſteht es hier am Platz um Tyndareos
8991Erhabnes Haus? wie ſtehet es mit dem Reich umher?
∞Helena.
8992Iſt dir denn ſo das Schelten gänzlich einverleibt,
8993Daß ohne Tadeln du keine Lippe regen kannſt?
∞Phorkyas.
8994So viele Jahre ſtand verlaſſen das Thal-Gebirg,
8995Das hinter Sparta nordwärts in die Höhe ſteigt,
8996Taygetos im Rücken, wo als muntrer Bach
8997Herab Eurotas rollt und dann durch unſer Thal
8998An Rohren breit hinfließend eure Schwäne nährt.
8999Dort hinten ſtill im Gebirgthal hat ein kühn Geſchlecht,
9000Sich angeſiedelt, dringend aus cimmeriſcher Nacht,
9001Und unerſteiglich feſte Burg ſich aufgethürmt,
9002Von da ſie Land und Leute placken wie’s behagt.
∞Phorkyas.
9006Nicht Räuber ſind es, Einer aber iſt der Herr.
9007Ich ſchelt’ ihn nicht und wenn er ſchon mich
heimgeſucht.
9008Wohl konnt’ er alles nehmen, doch begnügt er ſich
9009Mit wenigen Freigeſchenken, nannt er’s, nicht Tribut.
∞Phorkyas.
9010Nicht übel! mir gefällt er ſchon.
9011Es iſt ein munterer, kecker, wohlgebildeter,
9012Wie unter Griechen wenig ein verſtändger Mann,
9013Man ſchilt das Volk Barbaren, doch ich dächte nicht
9014Daß grauſam einer wäre, wie vor Ilios
9015Gar mancher Held ſich menſchenfreſſeriſch erwies.
9016Ich acht’ auf ſeine Großheit, ihm vertraut’ ich mich.
9017Und ſeine Burg! die ſolltet ihr mit Augen ſehn,
9018Das iſt was anderes gegen plumpes Mauerwerk
9019Das eure Väter, mir nichts dir nichts, aufgewälzt,
9020Cyklopiſch wie Cyklopen, rohen Stein ſogleich
9021Auf rohe Steine ſtürzend; dort hingegen, dort
9022Iſt alles ſenk- und wagerecht und regelhaft.
9023Von außen ſchaut ſie! himmelan ſie ſtrebt empor,
9024So ſtarr, ſo wohl in Fugen, ſpiegelglatt wie Stahl.
9025Zu klettern hier — ja ſelbſt der Gedanke gleitet ab.
9026Und innen großer Höfe Raumgelaſſe, rings
9027Mit Baulichkeit umgeben, aller Art und Zweck.
9028Da ſeht ihr Säulen, Säulchen, Bogen, Bögelchen,
9029Altane, Galerie’n zu ſchauen aus und ein,
9030Und Wappen.
∞Phorkyas.
9030Ajax führte ja
9031Geſchlungne Schlang’ im Schilde, wie ihr ſelbſt geſehn.
258
9032Die Sieben dort vor Theben trugen Bildnerey’n
9033Ein jeder auf ſeinem Schilde, reich bedeutungsvoll.
9034Da ſah man Mond und Stern’ am nächtigen Himmelsraum,
9035Auch Göttin, Held und Leiter, Schwerter, Fackeln auch,
9036Und was bedrängliches guten Städten grimmig droht.
9037Ein ſolch Gebilde führt auch unſre Heldenſchaar
9038Von ſeinen Ur-Urahnen her in Farbenglanz.
9039Da ſeht ihr Löwen, Adler, Klau’ und Schnabel auch,
9040Dann Büffelhörner, Flügel, Roſen, Pfauenſchweif,
9041Auch Streifen, gold und ſchwarz und ſilbern, blau und
roth.
9042Dergleichen hängt in Sälen Reih an Reihe fort,
9043In Sälen, gränzenloſen, wie die Welt ſo weit;
9044Da könnt ihr tanzen!
∞Phorkyas.
9045Die beſten! goldgelockte, friſche Bubenſchaar.
9046Die duften Jugend, Paris duftete einzig ſo,
9047Als er der Königin zu nahe kam.
∞Phorkyas.
9049Du ſprichſt das letzte, ſagſt mit Ernſt vernehmlich ja!
9050Sogleich umgeb’ ich dich mit jener Burg.
∞Helena.
9052Wie? ſollt’ ich fürchten, daß der König Menelas
9053So grauſam ſich verginge mich zu ſchädigen?
∞Phorkyas.
9054Haſt du vergeſſen, wie er deinen Deiphobus,
9055Des todtgekämpften Paris Bruder, unerhört
9056Verſtümmelte, der ſtarrſinnig Witwe dich erſtritt
9057Und glücklich kebſte; Naſ’ und Ohren ſchnitt er ab
9058Und ſtümmelte mehr ſo; Greuel war es anzuſchaun.
∞Phorkyas.
9060Um jeneswillen wird er dir das Gleiche thun.
9061Untheilbar iſt deine Schönheit; der ſie ganz beſaß
9062Zerſtört ſie lieber, fluchend jedem Theilbeſitz.
∞(Trompeten in der Ferne;
der Chor fährt zuſammen.)
9063Wie ſcharf der Trompete Schmettern Ohr und Eingeweid
9064Zerreißend anfaßt, alſo krallt ſich Eiferſucht
9065Im Buſen feſt des Mannes, der das nie vergißt
9066Was einſt er beſaß und nun verlor, nicht mehr beſitzt.
∞Phorkyas.
9069Ihr wißt es deutlich, ſeht vor Augen ihren Tod,
9070Merkt den eurigen da drinne; nein zu helfen iſt euch
nicht.
∞(Pauſe.)
∞Helena.
9071Ich ſann mir aus das Nächſte was ich wagen darf.
9072Ein Widerdämon biſt du, das empfind’ ich wohl,
9073Und fürchte, Gutes wendeſt du zum Böſen um.
9074Vor allem aber folgen will ich dir zur Burg;
9075Das andre weiß ich; was die Königin dabei
9076In tiefem Buſen geheimnißvoll verbergen mag,
9077Sey jedem unzugänglich. Alte! geh voran.
∞Chor.
9078O wie gern gehen wir hin,
9079Eilenden Fußes;
9080Hinter uns Tod,
261
9081Vor uns abermals
9082Ragender Veſte
9083Unzugängliche Mauer.
9084Schütze ſie eben ſo gut
9085Eben wie Ilios Burg,
9086Die doch endlich nur
9087Niederträchtiger Liſt erlag.
∞(Nebel verbreiten ſich,
umhüllen den Hintergrund, auch die Nähe, nach Belieben.)
9088Wie? aber wie?
9089Schweſtern ſchaut euch um!
9090War es nicht heiterer Tag?
9091Nebel ſchwanken ſtreifig empor
9092Aus Eurotas heil’ger Fluth;
9093Schon entſchwand das liebliche
9094Schilfumkränzte Geſtade dem Blick,
9095Auch die frei, zierlich-ſtolz
9096Sanfthingleitenden Schwäne
9097In geſell’ger Schwimmluſt
9098Seh’ ich, ach, nicht mehr!
9099Doch, aber doch
9100Tönen hör’ ich ſie,
9101Tönen fern heiſeren Ton!
9102Tod verkündenden ſagen ſie;
9103Ach daß uns er nur nicht auch,
9104Statt verheiſſener Rettung Heil,
9105Untergang verkünde zuletzt;
262
9106Uns den ſchwangleichen, lang-
9107Schön weißhalſigen; und ach!
9108Unſ’rer Schwanerzeugten.
9109Weh uns, weh, weh!
9110Alles deckte ſich ſchon
9111Rings mit Nebel umher.
9112Sehen wir doch einander nicht!
9113Was geſchieht? gehen wir?
9114Schweben wir nur
9115Trippelnden Schrittes am Boden hin?
9116Siehſt du nichts? ſchwebt nicht etwa gar
9117Hermes voran? Blinkt nicht der goldne Stab
9118Heiſchend, gebietend uns wieder zurück
9119Zu dem unerfreulichen, grautagenden,
9120Ungreifbarer Gebilde vollen,
9121Ueberfüllten, ewig leeren Hades.
∞
266
268
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272
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279
280
281
282
283
∞(Innerer Burghof, umgeben von
reichen phantaſtiſchen Gebäuden des
Mittelalters.)
∞Chorführerin.
9127Vorſchnell und thöricht, ächt wahrhaftes Weibsgebild!
9128Vom Augenblick abhängig, Spiel der Witterung
9129Des Glücks und Unglücks, keins von beiden wißt ihr je
9130Zu beſtehn mit Gleichmuth. Eine widerſpricht ja ſtets
9131Der andern heftig, überquer die andern ihr;
9132In Freud’ und Schmerz nur heult und lacht ihr
gleichen Ton’s.
9133Nun ſchweigt! und wartet horchend was die Herrſcherin
9134Hochſinnig hier beſchließen mag für ſich und uns.
∞Helena.
9135Wo biſt du Pythoniſſa? heiße wie du magſt,
9136Aus dieſen Gewölben tritt hervor der düſtern Burg.
9137Gingſt etwa du, dem wunderbaren Heldenherrn
9138Mich anzukündigen, Wohlempfang bereitend mir,
9139So habe Dank und führe ſchnell mich ein zu ihm;
9140Beſchluß der Irrfahrt wünſch’ ich, Ruhe wünſch’ ich nur.
∞Chorführerin.
9141Vergebens blickſt du, Königin, allſeits um dich her;
9142Verſchwunden iſt das leidige Bild, verblieb vielleicht
9143Im Nebel dort, aus deſſen Buſen wir hieher,
9144Ich weiß nicht wie, gekommen, ſchnell und ſonder
Schritt.
9145Vielleicht auch irrt ſie zweifelhaft im Labyrinth
9146Der wunderſam aus vielen einsgewordnen Burg,
9147Den Herrn erfragend fürſtlicher Hochbegrüßung halb.
264
9148Doch ſieh, dort oben regt in Menge ſich allbereits
9149In Galerien, am Fenſter, in Portalen raſch
9150Sich hin und her bewegend viele Dienerſchaft,
9151Vornehm-willkommnen Gaſtempfang verkündet es.
∞Chor.
9152Aufgeht mir das Herz! o, ſeht nur dahin
9153Wie ſo ſittig herab mit verweilendem Tritt
9154Jungholdeſte Schaar anſtändig bewegt
9155Den geregelten Zug. Wie? auf weſſen Befehl
9156Nur erſcheinen gereiht und gebildet ſo früh,
9157Von Jünglingsknaben das herrliche Volk?
9158Was bewundr’ ich zumeiſt! Iſt es zierlicher Gang,
9159Etwa des Haupts Lockhaar um die blendende Stirn,
9160Etwa der Wänglein Paar, wie die Pfirſiche roth
9161Und eben auch ſo weichwollig beflaumt?
9162Gern biß ich hinein, doch ich ſchaudre davor,
9163Denn in ähnlichem Fall, da erfüllte der Mund
9164Sich, gräßlich zu ſagen! mit Aſche.
9165Aber die ſchönſten
9166Sie kommen daher;
9167Was tragen ſie nur?
9168Stufen zum Thron,
9169Teppich und Sitz,
9170Umhang und zelt-
9171artigen Schmuck,
9172Ueber überwallt er,
9173Wolkenkränze bildend,
9174Unſrer Königin Haupt,
265
9175Denn ſchon beſtieg ſie
9176Eingeladen herrlichen Pfühl.
9177Tretet heran
9178Stufe für Stufe
9179Reihet euch ernſt.
9180Würdig, o würdig, dreyfach würdig
9181Sey geſegnet ein ſolcher Empfang!
∞(Alles vom Chor ausgeſprochene
geſchieht nach und nach.)
∞Fauſt. (Nachdem Knaben
und Knappen in langem Zug herabgeſtiegen, erſcheint er oben an der
Treppe in ritterlicher Hofkleidung des Mittelalters und kommt
langſam würdig herunter.)
∞Chorführerin
∞(ihn aufmerkſam
beſchauend).
9182Wenn dieſem nicht die Götter, wie ſie öfter thun,
9183Für wenige Zeit nur wundernswürdige Geſtalt,
9184Erhabnen Anſtand, liebenswerthe Gegenwart
9185Vorübergänglich liehen; wird ihm jedesmal
9186Was er beginnt gelingen, ſey’s in Männerſchlacht,
9187So auch im kleinen Kriege mit den ſchönſten Frau’n.
9188Er iſt fürwahr gar vielen andern vorzuziehn,
9189Die ich doch auch als hochgeſchätzt mit Augen ſah.
9190Mit langſam-ernſtem, ehrfurchtsvoll gehaltnem Schritt
9191Seh ich den Fürſten; wende dich o Königin!
∞Fauſt
∞(herantretend, einen
Gefeſſelten zur Seite).
9192Statt feyerlichſten Grußes, wie ſich ziemte,
9193Statt erfurchtsvollem Willkomm bring ich dir
9194In Ketten hartgeſchloſſen ſolchen Knecht,
9195Der Pflicht verfehlend mir die Pflicht entwand.
9196Hier kniee nieder! dieſer höchſten Frau
9197Bekenntniß abzulegen deiner Schuld.
9198Dieß iſt, erhabne Herrſcherin, der Mann
9199Mit ſeltnem Augenblitz vom hohen Thurm
9200Umherzuſchaun beſtellt, dort Himmelsraum
9201Und Erdenbreite ſcharf zu überſpähn,
9202Was etwa da und dort ſich melden mag,
9203Vom Hügelkreis in’s Thal zur feſten Burg
9204Sich regen mag, der Heerden Woge ſey’s,
9205Ein Heereszug vielleicht; wir ſchützen jene,
9206Begegnen dieſem. Heute, welch’ Verſäumniß!
9207Du kommſt heran, er meldet’s nicht, verfehlt
9208Iſt ehrenvoller ſchuldigſter Empfang
9209So hohen Gaſtes. Freventlich verwirkt
9210Das Leben hat er, läge ſchon im Blut
9211Verdienten Todes; doch nur du allein
9212Beſtrafſt, begnadigſt, wie dir’s wohl gefällt.
∞Helena.
9213So hohe Würde wie du ſie vergönnſt,
9214Als Richterin, als Herrſcherin, und wär’s
267
9215Verſuchend nur, wie ich vermuthen darf;
9216So üb’ ich nun des Richters erſte Pflicht
9217Beſchuldigte zu hören. Rede denn.
∞Thurmwärter,
Lynceus.
9218Laß mich knieen, laß mich ſchauen,
9219Laß mich ſterben, laß mich leben,
9220Denn ſchon bin ich hingegeben
9221Dieſer gottgegebnen Frauen.
9222Harrend auf des Morgens Wonne,
9223Oeſtlich ſpähend ihren Lauf,
9224Ging auf einmal mir die Sonne
9225Wunderbar im Süden auf.
9226Zog den Blick nach jener Seite,
9227Statt der Schluchten, ſtatt der Höh’n
9228Statt der Erd- und Himmelsweite,
9229Sie die Einzige zu ſpähn.
9230Augenſtrahl iſt mir verliehen
9231Wie dem Luchs auf höchſtem Baum,
9232Doch nun mußt’ ich mich bemühen
9233Wie aus tiefem düſterm Traum.
9234Wüßt’ ich irgend mich zu finden?
9235Zinne? Thurm? geſchloßnes Thor?
9236Nebel ſchwanken, Nebel ſchwinden
9237Solche Göttin tritt hervor!
∞Helena.
9246Das Uebel das ich brachte darf ich nicht
9247Beſtrafen. Wehe mir! Welch’ ſtreng Geſchick
9248Verfolgt mich, überall der Männer Buſen
9249So zu bethören, daß ſie weder ſich
9250Noch ſonſt ein Würdiges verſchonten. Raubend jetzt,
9251Verführend, fechtend, hin und her entrückend;
9252Halbgötter, Helden, Götter, ja Dämonen,
9253Sie führten mich im Irren her und hin.
9254Einfach die Welt verwirrt’ ich, doppelt mehr,
9255Nun dreyfach, vierfach bring’ ich Noth auf Noth.
9256Entferne dieſen Guten, laß ihn frei;
9257Den Gottbethörten treffe keine Schmach.
∞Fauſt.
9258Erſtaunt o Königin, ſeh’ ich zugleich
9259Die ſicher Treffende, hier den Getroffnen;
9260Ich ſeh’ den Bogen, der den Pfeil entſandt,
269
9261Verwundet jenen. Pfeile folgen Pfeilen
9262Mich treffend. Allwärts ahn’ ich überquer
9263Gefiedert ſchwirrend ſie in Burg und Raum.
9264Was bin ich nun? Auf einmal machſt du mir
9265Rebelliſch die Getreuſten, meine Mauern
9266Unſicher. Alſo fürcht’ ich ſchon, mein Heer
9267Gehorcht der ſiegend unbeſiegten Frau.
9268Was bleibt mir übrig? als mich ſelbſt und alles,
9269Im Wahn das Meine, dir anheim zu geben.
9270Zu deinen Füßen laß mich, frei und treu,
9271Dich Herrin anerkennen, die ſogleich
9272Auftretend ſich Beſitz und Thron erwarb.
∞Lynceus
∞(mit einer Kiſte und
Männer die ihm andere nachtragen).
9273Du ſiehſt mich, Königin, zurück!
9274Der Reiche bettelt einen Blick,
9275Er ſieht dich an und fühlt ſogleich
9276Sich bettelarm und fürſtenreich.
9277Was war ich erſt? was bin ich nun?
9278Was iſt zu wollen? was zu thun?
9279Was hilft der Augen ſchärfſter Blitz!
9280Er prallt zurück an deinem Sitz.
9281Von Oſten kamen wir heran
9282Und um den Weſten war’s gethan;
9283Ein lang und breites Volksgewicht,
9284Der erſte wußte vom letzten nicht.
9285Der erſte fiel, der zweyte ſtand,
9286Des dritten Lanze war zur Hand;
9287Ein jeder hundertfach geſtärkt,
9288Erſchlagne Tauſend unbemerkt.
9289Wir drängten fort, wir ſtürmten
fort,
9290Wir waren Herrn von Ort zu Ort;
9291Und wo ich herriſch heut befahl
9292Ein andrer morgen raubt’ und ſtahl.
9293Wir ſchauten, — eilig war die Schau;
9294Der griff die allerſchönſte Frau,
9295Der griff den Stier von feſtem Tritt,
9296Die Pferde mußten alle mit.
9297Ich aber liebte zu erſpähn
9298Das Seltenſte was man geſehn,
9299Und was ein andrer auch beſaß,
9300Das war für mich gedörrtes Gras.
9301Den Schätzen war ich auf der Spur,
9302Den ſcharfen Blicken folgt’ ich nur,
9303In alle Taſchen blickt’ ich ein,
9304Durchſichtig war mir jeder Schrein.
9305Und Haufen Goldes waren mein,
9306Am herrlichſten der Edelſtein:
9307Nun der Smaragd allein verdient
9308Daß er an deinem Herzen grünt.
9309Nun ſchwanke zwiſchen Ohr und Mund
9310Das Tropfeney aus Meeresgrund;
9311Rubinen werden gar verſcheucht,
9312Das Wangenroth ſie niederbleicht.
9313Und ſo den allergrößten Schatz
9314Verſetz’ ich hier auf deinen Platz,
9315Zu deinen Füßen ſey gebracht
9316Die Erndte mancher blut’gen Schlacht.
9317So viele Kiſten ſchlepp’ ich her,
9318Der Eiſenkiſten hab’ ich mehr;
9319Erlaube mich auf deiner Bahn
9320Und Schatzgewölbe füll’ ich an.
9321Denn du beſtiegeſt kaum den Thron,
9322So neigen ſchon, ſo beugen ſchon
9323Verſtand und Reichthum und Gewalt
9324Sich vor der einzigen Geſtalt.
∞Fauſt.
9333Entferne ſchnell die kühn erworbne Laſt,
9334Zwar nicht getadelt aber unbelohnt.
9335Schon iſt Ihr alles eigen was die Burg
9336Im Schoos verbirgt, Beſondres Ihr zu bieten
9337Iſt unnütz. Geh und häufe Schatz auf Schatz
9338Geordnet an. Der ungeſeh’nen Pracht
9339Erhabnes Bild ſtell’ auf! Laß die Gewölbe
9340Wie friſche Himmel blinken, Paradieſe
9341Von lebeloſem Leben richte zu.
9342Voreilend ihren Tritten laß beblümt
9343An Teppich Teppiche ſich wälzen, ihrem Tritt
9344Begegne ſanfter Boden, ihrem Blick,
9345Nur göttliche nicht blendend, höchſter Glanz.
∞Lynceus.
9346Schwach iſt was der Herr befiehlt,
9347Thut’s der Diener, es iſt geſpielt:
9348Herrſcht doch über Gut und Blut
9349Dieſer Schönheit Uebermuth.
9350Schon das ganze Heer iſt zahm
9351Alle Schwerter ſtumpf und lahm,
9352Vor der herrlichen Geſtalt
9353Selbſt die Sonne matt und kalt,
9354Vor dem Reichthum des Geſichts
9355Alles leer und alles nichts.
∞(ab.)
273
∞Helena
∞(zu Fauſt).
9356Ich wünſche dich zu ſprechen, doch herauf
9357An meine Seite komm! der leere Platz
9358Beruft den Herrn und ſichert mir den meinen.
∞Fauſt.
9359Erſt knieend laß die treue Widmung dir
9360Gefallen, hohe Frau; die Hand die mich
9361An deine Seite hebt laß mich ſie küſſen.
9362Beſtärke mich als Mitregenten deines
9363Gränzunbewußten Reichs, gewinne dir
9364Verehrer, Diener, Wächter all’ in Einem.
∞Helena.
9365Vielfache Wunder ſeh’ ich, hör’ ich an,
9366Erſtaunen trifft mich, fragen möcht’ ich viel.
9367Doch wünſcht’ ich Unterricht, warum die Rede
9368Des Mann’s mir ſeltſam klang, ſeltſam und freundlich.
9369Ein Ton ſcheint ſich dem andern zu bequemen,
9370Und hat ein Wort zum Ohre ſich geſellt,
9371Ein andres kommt, dem erſten liebzukoſen.
∞Fauſt.
9372Gefällt dir ſchon die Sprechart unſrer Völker
9373O ſo gewiß entzückt euch der Geſang,
9374Befriedigt Ohr und Sinn im tiefſten Grunde.
9375Doch iſt am ſicherſten wir üben’s gleich,
9376Die Wechſelrede lockt es, ruft’s hervor.
∞Fauſt.
9378Das iſt gar leicht, es muß vom Herzen gehn.
9379Und wenn die Bruſt von Sehnſucht überfließt,
9380Man ſieht ſich um und fragt —
∞Chor.
9385Wer verdächt’ es unſrer Fürſtin
9386Gönnet ſie dem Herrn der Burg
9387Freundliches Erzeigen.
275
9388Denn geſteht, ſämmtliche ſind wir
9389Ja Gefangene, wie ſchon öfter,
9390Seit dem ſchmählichen Untergang
9391Ilios und der ängſtlich-
9392Labyrinthiſchen Kummerfahrt.
9393Fraun, gewöhnt an Männerliebe,
9394Wählerinnen ſind ſie nicht,
9395Aber Kennerinnen.
9396Und wie goldlockigen Hirten,
9397Vielleicht ſchwarzborſtigen Faunen,
9398Wie es bringt die Gelegenheit,
9399Ueber die ſchwellenden Glieder
9400Vollertheilen ſie gleiches Recht.
9401Nah und näher ſitzen ſie ſchon
9402An einander gelehnet,
9403Schulter an Schulter, Knie an Knie,
9404Hand in Hand wiegen ſie ſich
9405Ueber des Throns
9406Aufgepolſterter Herrlichkeit.
9407Nicht verſagt ſich die Majeſtät
9408Heimlicher Freuden
9409Vor den Augen des Volkes
9410Uebermüthiges Offenbarſeyn.
∞Fauſt.
9413Ich athme kaum, mir zittert, ſtockt das Wort,
9414Es iſt ein Traum, verſchwunden Tag und Ort.
∞Fauſt.
9417Durchgrüble nicht das einzigſte Geſchick
9418Daſeyn iſt Pflicht und wär’s ein Augenblick.
∞Phorkyas
∞(heftig
eintretend).
9419Buchſtabirt in Liebes-Fibeln,
9420Tändelnd grübelt nur am Liebeln,
9421Müßig liebelt fort im Grübeln,
9422Doch dazu iſt keine Zeit.
9423Fühlt ihr nicht ein dumpfes Wettern?
9424Hört nur die Trompete ſchmettern,
9425Das Verderben iſt nicht weit.
9426Menelas mit Volkes-Wogen
9427Kommt auf euch herangezogen;
9428Rüſtet euch zu herbem Streit!
9429Von der Sieger-Schaar umwimmelt,
9430Wie Deiphobus verſtümmelt
9431Büßeſt du das Fraun-Geleit.
9432Bammelt erſt die leichte Waare,
9433Dieſer gleich iſt am Altare
9434Neugeſchliffnes Beil bereit.
∞Fauſt.
9435Verwegne Störung! widerwärtig dringt ſie ein,
9436Auch nicht in Gefahren mag ich ſinnlos Ungeſtüm.
9437Den ſchönſten Boten Unglücksbotſchaft häßlicht ihn;
9438Du Häßlichſte gar nur ſchlimme Botſchaft bringſt du
gern.
9439Doch dießmal ſoll dir’s nicht gerathen, leeres Hauchs
9440Erſchüttere du die Lüfte. Hier iſt nicht Gefahr,
9441Und ſelbſt Gefahr erſchiene nur als eitles Dräun.
∞(Signale, Exploſionen von den
Thürmen, Trompeten und Zinken, kriegeriſche Muſik, Durchmarſch
gewaltiger Heereskraft.)
∞Fauſt.
9442Nein gleich ſollſt du verſammelt ſchauen
9443Der Helden ungetrennten Kreis:
9444Nur der verdient die Gunſt der Frauen,
9445Der kräftigſt ſie zu ſchützen weiß.
∞(Zu den Heerführern, die
ſich von den Colonnen abſondern und herantreten:)
9446Mit angehaltnem ſtillen Wüthen,
9447Das euch gewiß den Sieg verſchafft,
9448Ihr Nordens jugendliche Blüthen,
9449Ihr Oſtens blumenreiche Kraft.
9450In Stahl gehüllt, vom Strahl umwittert,
9451Die Schaar die Reich um Reich zerbrach,
9452Sie treten auf, die Erde ſchüttert,
9453Sie ſchreiten fort, es donnert nach.
9454An Pylos traten wir zu Lande,
9455Der alte Neſtor iſt nicht mehr,
9456Und alle kleine Königsbande
9457Zerſprengt das ungebundne Heer.
9458Drängt ungeſäumt von dieſen Mauern
9459Jetzt Menelas dem Meer zurück;
9460Dort irren mag er, rauben, lauern,
9461Ihm war es Neigung und Geſchick.
9462Herzoge ſoll ich euch begrüßen
9463Gebietet Sparta’s Königin,
9464Nun legt ihr Berg und Thal zu Füßen,
9465Und euer ſey des Reichs Gewinn.
9466Germane du! Corinthus Buchten
9467Vertheidige mit Wall und Schutz,
9468Achaia dann mit hundert Schluchten,
9469Empfehl’ ich Gothe deinem Trutz.
9470Nach Elis ziehn der Franken Heere,
9471Meſſene ſey der Sachſen Loos,
9472Normanne reinige die Meere
9473Und Argolis erſchaff er groß.
9474Dann wird ein jeder häuslich wohnen,
9475Nach außen richten Kraft und Blitz;
9476Doch Sparta ſoll euch überthronen
9477Der Königin verjährter Sitz.
∞(Fauſt ſteigt herab, die Fürſten
ſchließen einen Kreis um ihn, Befehl und Anordnung näher zu
vernehmen.)
∞Chor.
9482Wer die Schönſte für ſich begehrt,
9483Tüchtig vor allen Dingen
9484Seh er nach Waffen weiſe ſich um;
9485Schmeichelnd wohl gewann er ſich
9486Was auf Erden das Höchſte;
9487Aber ruhig beſitzt er’s nicht:
9488Schleicher liſtig entſchmeicheln ſie ihm,
9489Räuber kühnlich entreißen ſie ihm,
9490Dieſes zu hinderen ſey er bedacht.
9491Unſern Fürſten lob’ ich drum,
9492Schätz’ ihn höher vor andern,
9493Wie er ſo tapfer klug ſich verband
9494Daß die Starken gehorchend ſtehn
9495Jedes Winkes gewärtig.
9496Seinen Befehl vollziehn ſie treu,
9497Jeder ſich ſelbſt zu eignem Nutz
9498Wie dem Herrſcher zu lohnendem Dank,
9499Beiden zu höchlichem Ruhmes-Gewinn.
∞Fauſt.
9506Die Gaben, dieſen hier verliehen —
9507An jeglichen ein reiches Land —
9508Sind groß und herrlich, laß ſie ziehen!
9509Wir halten in der Mitte Stand.
9510Und ſie beſchützen um die Wette
9511Rings um von Wellen angehüpft,
9512Nichtinſel dich, mit leichter Hügelkette
9513Europens letztem Bergaſt angeknüpft.
9514Das Land, vor aller Länder Sonnen
9515Sey ewig jedem Stamm beglückt,
9516Nun meiner Königin gewonnen,
9517Das früh an ihr hinauf geblickt.
9518Als, mit Eurotas Schilfgeflüſter,
9519Sie leuchtend aus der Schale brach,
9520Der hohen Mutter, dem Geſchwiſter
9521Das Licht der Augen überſtach.
9522Dieß Land allein zu dir gekehret,
9523Entbietet ſeinen höchſten Flor;
9524Dem Erdkreis, der dir angehöret,
9525Dein Vaterland o! zieh es vor.
9526Und duldet auch auf ſeiner Berge
Rücken
9527Das Zackenhaupt der Sonne kalten Pfeil,
9528Läßt nun der Fels ſich angegrünt erblicken,
9529Die Ziege nimmt genäſchig kargen Theil.
9530Die Quelle ſpringt, vereinigt ſtürzen
Bäche,
9531Und ſchon ſind Schluchten, Hänge, Matten grün.
9532Auf hundert Hügeln unterbrochner Fläche
9533Siehſt Wollenheerden ausgebreitet ziehn.
9534Vertheilt, vorſichtig abgemeſſen
ſchreitet
9535Gehörntes Rind hinan zum jähen Rand,
9536Doch Obdach iſt den ſämmtlichen bereitet,
9537Zu hundert Höhlen wölbt ſich Felſenwand.
9538Pan ſchützt ſie dort und Lebensnymphen
wohnen
9539In buſchiger Klüfte feucht erfriſchtem Raum,
9540Und, ſehnſuchtsvoll nach höhern Regionen,
9541Erhebt ſich zweighaft Baum gedrängt an Baum.
9542Alt- Wälder ſind’s! Die Eiche ſtarret mächtig
9543Und eigenſinnig zackt ſich Aſt an Aſt;
9544Der Ahorn mild, von ſüßem Safte trächtig,
9545Steigt rein empor und ſpielt mit ſeiner Laſt.
9546Und mütterlich im ſtillen
Schattenkreiſe
9547Quillt laue Milch bereit für Kind und Lamm;
9548Obſt iſt nicht weit, der Ebnen reife Speiſe,
9549Und Honig trieft vom ausgehöhlten Stamm.
9550Hier iſt das Wohlbehagen erblich,
9551Die Wange heitert wie der Mund,
9552Ein jeder iſt an ſeinem Platz unſterblich:
9553Sie ſind zufrieden und geſund.
9554Und ſo entwickelt ſich am reinen
Tage
9555Zu Vaterkraft das holde Kind.
9556Wir ſtaunen drob; noch immer bleibt die Frage:
9557Ob’s Götter, ob es Menſchen ſind?
9558So war Apoll den Hirten zugeſtaltet
9559Daß ihm der ſchönſten einer glich;
9560Denn wo Natur im reinen Kreiſe waltet
9561Ergreifen alle Welten ſich.
∞(Neben ihr ſitzend)
9562So iſt es mir, ſo iſt es dir
gelungen,
9563Vergangenheit ſey hinter uns gethan;
9564O fühle dich vom höchſten Gott entſprungen,
9565Der erſten Welt gehörſt du einzig an.
9566Nicht feſte Burg ſoll dich
umſchreiben!
9567Noch zirkt, in ewiger Jugendkraft
9568Für uns, zu wonnevollem Bleiben,
9569Arkadien in Sparta’s Nachbarſchaft.
∞
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304
305
∞(Der Schauplatz verwandelt ſich
durchaus. An eine Reihe von Felſenhöhlen lehnen ſich geſchloßne
Lauben. Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felſenſteile
hinan. Fauſt und Helena werden nicht geſehen. Der Chor liegt
ſchlafend vertheilt umher.)
∞Phorkyas.
9574Wie lange Zeit die Mädchen ſchlafen weiß ich nicht,
9575Ob ſie ſich träumen ließen was ich hell und klar
9576Vor Augen ſah, iſt ebenfalls mir unbekannt.
9577Drum weck’ ich ſie. Erſtaunen ſoll das junge Volk;
9578Ihr Bärtigen auch, die ihr da drunten ſitzend harrt,
9579Glaubhafter Wunder Löſung endlich anzuſchaun.
9580Hervor! hervor! Und ſchüttelt eure Locken raſch;
9581Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht ſo, und hört mich an!
∞Chor.
9582Rede nur, erzähl’ erzähle was ſich Wunderlichs begeben,
9583Hören möchten wir am liebſten was wir gar nicht glauben können,
9584Denn wir haben lange Weile dieſe Felſen anzuſehn.
∞Phorkyas.
9585Kaum die Augen ausgerieben Kinder langeweilt ihr ſchon?
9586So vernehmt: in dieſen Höhlen, dieſen Grotten,
dieſen Lauben
284
9587Schutz und Schirmung war verliehen, wie
idylliſchem Liebespaare,
9588Unſerm Herrn und unſrer Frauen.
∞Phorkyas.
9588Abgeſondert
9589Von der Welt, nur mich die Eine riefen ſie zu
ſtillem Dienſte.
9590Hochgeehrt ſtand ich zur Seite, doch, wie es
Vertrauten ziemet,
9591Schaut’ ich um nach etwas andrem. Wendete mich hier- und
dorthin,
9592Suchte Wurzeln, Moos und Rinden, kundig aller Wirkſamkeiten,
9593Und ſo blieben ſie allein.
∞Chor.
9594Thuſt du doch als ob da drinnen ganze
Weltenräume wären,
9595Wald und Wieſe, Bäche, Seen, welche Mährchen ſpinnſt du
ab!
∞Phorkyas.
9596Allerdings, ihr Unerfahrnen! das ſind unerforſchte
Tiefen:
9597Saal an Sälen, Hof an Höfen, dieſe ſpürt’ ich ſinnend
aus.
285
9598Doch auf einmal ein Gelächter echo’t in den Höhlen-Räumen;
9599Schau’ ich hin, da ſpringt ein Knabe von der
Frauen Schoos zum Manne,
9600Von dem Vater zu der Mutter; das Gekoſe, das Getändel,
9601Thöriger Liebe Neckereyen, Scherzgeſchrey und
Luſtgejauchze
9602Wechſelnd übertäuben mich.
9603Nackt ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne
Thierheit
9604Springt er auf den feſten Boden, doch der Boden gegenwirkend
9605Schnellt ihn zu der luft’gen Höhe, und im zweyten
dritten Sprunge
9606Rührt er an das Hochgewölb.
9607Aengſtlich ruft die Mutter: ſpringe
wiederholt und nach Belieben,
9608Aber hüte dich zu fliegen, freier Flug iſt dir
verſagt.
9609Und ſo mahnt der treue Vater: in der Erde liegt
die Schnellkraft,
9610Die dich aufwärts treibt, berühre mit der Zehe
nur den Boden
9611Wie der Erdenſohn Antäus biſt du alſobald geſtärkt.
9612Und ſo hüpft er auf die Maſſe dieſes Felſens, von
der Kante
9613Zu dem andern und umher ſo wie ein Ball
geſchlagen ſpringt.
9614Doch auf einmal in der Spalte rauher
Schlucht iſt er verſchwunden,
9615Und nun ſcheint er uns verloren. Mutter
jammert, Vater tröſtet,
9616Achſelzuckend ſteh’ ich ängſtlich. Doch nun wieder
welch Erſcheinen!
9617Liegen Schätze dort verborgen? Blumenſtreifige Gewande
9618Hat er würdig angethan.
9619Quaſten ſchwanken von den Armen, Binden flattern
um den Buſen,
9620In der Hand die goldne Leyer, völlig wie ein
kleiner Phöbus
9621Tritt er wohlgemuth zur Kante, zu dem Ueberhang; wir
ſtaunen.
9622Und die Eltern vor Entzücken werfen wechſelnd ſich
an’s Herz.
9623Denn wie leuchtet’s ihm zu Haupten? Was erglänzt
iſt ſchwer zu ſagen,
9624Iſt es Goldſchmuck, iſt es Flamme übermächtiger Geiſteskraft.
9625Und ſo regt er ſich gebärdend, ſich als Knabe ſchon
verkündend
9626Künftigen Meiſter alles Schönen, dem die ewigen Melodieen
9627Durch die Glieder ſich bewegen; und ſo werdet ihr
ihn hören,
9628Und ſo werdet ihr ihn ſehn zu einzigſter Bewunderung.
∞Chor.
9629Nennſt du ein Wunder dieß,
9630Creta’s Erzeugte?
9631Dichtend belehrendem Wort
9632Haſt du gelauſcht wohl nimmer?
9633Niemals noch gehört Ioniens,
9634Nie vernommen auch Hellas
9635Urväterlicher Sagen
9636Göttlich-heldenhaften Reichthum?
9637Alles was je geſchieht
9638Heutiges Tages
9639Trauriger Nachklang iſt’s
9640Herrlicher Ahnherrn-Tage;
9641Nicht vergleicht ſich dein Erzählen
9642Dem was liebliche Lüge
9643Glaubhaftiger als Wahrheit
9644Von dem Sohne ſang der Maja.
9645Dieſen zierlich und kräftig doch
9646Kaum geborenen Säugling
9647Faltet in reinſter Windeln Flaum
9648Strenget in köſtlicher Wickeln Schmuck
9649Klatſchender Wärterinnen Schaar
9650Unvernünftigen Wähnens.
9651Kräftig und zierlich aber zieht
9652Schon der Schalk die geſchmeidigen
9653Doch elaſtiſchen Glieder
288
9654Luſtig heraus, die purpurne
9655Aengſtlich drückende Schale
9656Laſſend ruhig an ſeiner Statt.
9657Gleich dem fertigen Schmetterling
9658Der aus ſtarrem Puppenzwang
9659Flügel entfaltend behendig ſchlüpft
9660Sonne-durchſtrahlten Aether kühn
9661Und muthwillig durchflatternd.
9662So auch er der behendeſte,
9663Daß er Dieben und Schälken,
9664Vortheil ſuchenden allen auch
9665Ewig günſtiger Dämon ſey.
9666Dieß bethätigt er alſobald
9667Durch gewandteſte Künſte.
9668Schnell des Meeres Beherrſcher ſtiehlt
9669Er den Trident, ja dem Ares ſelbſt
9670Schlau das Schwert aus der Scheide:
9671Bogen und Pfeil dem Phöbus auch,
9672Wie dem Hephäſtos die Zange;
9673Selber Zeus, des Vaters, Blitz
9674Nähm’ er, ſchreckt’ ihn das Feuer nicht;
9675Doch dem Eros ſiegt er ob
9676In beinſtellendem Ringerſpiel.
9677Raubt auch Cyprien, wie ſie ihm koſ’t,
9678Noch vom Buſen den Gürtel.
∞(Ein reizendes,
reinmelodiſches Saitenſpiel erklingt aus der Höhle. Alle merken auf
und ſcheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pauſe
durchaus mit vollſtimmiger Muſik.)
289
∞Phorkyas.
∞(Sie zieht ſich nach dem Felſen
zurück.)
∞Chor.
∞
Helena, Fauſt, Euphorion (in dem
oben beſchriebenen Coſtüm).
∞Euphorion.
∞Helena.
∞Fauſt.
∞Chor.
∞Euphorion.
∞Fauſt.
∞Euphorion.
∞Helena.
∞Euphorion.
∞(tanzend und ſingend
bewegen ſich in verſchlungenen Reihen).
9755Wenn du der Arme Paar
9756Lieblich bewegeſt;
9757Im Glanz dein lockig Haar
9758Schüttelnd erregeſt,
9759Wenn dir der Fuß ſo leicht
9760Ueber die Erde ſchleicht,
9761Dort und da wieder hin
9762Glieder um Glied ſich ziehn,
9763Haſt du dein Ziel erreicht
9764Liebliches Kind;
9765All’ unſre Herzen ſind
9766All’ dir geneigt.
∞(Pauſe.)
∞Euphorion.
∞Chor.
∞Euphorion.
∞Mädchen.
9800Laß mich los! In dieſer Hülle
9801Iſt auch Geiſtes Muth und Kraft,
9802Deinem gleich iſt unſer Wille
9803Nicht ſo leicht hinweggerafft.
9804Glaubſt du wohl mich im Gedränge?
9805Deinem Arm vertrauſt du viel!
9806Halte feſt, und ich verſenge
9807Dich den Thoren mir zum Spiel.
∞(Sie flammt auf und
lodert in die Höhe).
9808Folge mir in leichte Lüfte,
9809Folge mir in ſtarre Grüfte,
9810Haſche das verſchwundne Ziel.
∞(Er ſpringt immer höher Fels
auf.)
296
∞Euphorion.
∞Chor.
∞Euphorion.
∞Chor.
∞Euphorion.
∞Chor.
∞Euphorion.
∞Chor.
∞Euphorion.
∞Euphorion.
∞Euphorion.
∞(Er wirft ſich in die Lüfte, die
Gewande tragen ihn einen Augenblick, ſein Haupt
ſtrahlt, ein Lichtſchweif zieht nach.)
300
∞(Ein ſchöner Jüngling ſtürzt
zu der Eltern Füßen, man glaubt in dem Todten eine bekannte Geſtalt
zu erblicken; doch das Körperliche verſchwindet ſogleich, die
Aureole ſteigt wie ein Komet zum Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra
bleiben liegen.)
∞(Pauſe.)
∞Chor
∞(Trauergeſang).
9907Nicht allein! — wo du auch weileſt,
9908Denn wir glauben dich zu kennen,
9909Ach! wenn du dem Tag enteileſt
9910Wird kein Herz von dir ſich trennen.
9911Wüßten wir doch kaum zu klagen,
9912Neidend ſingen wir dein Loos:
9913Dir in klar’ und trüben Tagen
9914Lied und Muth war ſchön und groß.
9915Ach! zum Erdenglück geboren,
9916Hoher Ahnen, großer Kraft,
9917Leider! früh dir ſelbſt verloren,
9918Jugendblüthe weggerafft.
9919Scharfer Blick die Welt zu ſchauen,
9920Mitſinn jedem Herzensdrang,
9921Liebesgluth der beſten Frauen
9922Und ein eigenſter Geſang.
∞(Völlige Pauſe. Die Muſik hört
auf.)
302
∞Helena
∞(zu Fauſt).
9939Ein altes Wort bewährt ſich leider auch an mir:
9940Daß Glück und Schönheit dauerhaft ſich nicht vereint.
9941Zerriſſen iſt des Lebens wie der Liebe Band,
9942Bejammernd beide, ſag’ ich ſchmerzlich Lebewohl!
9943Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.
9944Perſephoneia nimm den Knaben auf und mich.
∞(Sie umarmt Fauſt, das
Körperliche verſchwindet, Kleid und Schleier bleiben ihm in den
Armen.)
∞Phorkyas
∞(zu Fauſt).
9945Halte feſt was dir von allem übrig blieb.
9946Das Kleid laß es nicht los. Da zupfen ſchon
9947Dämonen an den Zipfeln, möchten gern
9948Zur Unterwelt es reißen. Halte feſt!
9949Die Göttin iſt’s nicht mehr die du verlorſt,
9950Doch göttlich iſt’s. Bediene dich der hohen
9951Unſchätzbar’n Gunſt und hebe dich empor,
9952Es trägt dich über alles Gemeine raſch
9953Am Aether hin, ſo lange du dauern kannſt.
9954Wir ſehn uns wieder, weit gar weit von hier.
∞(Helenens Gewande löſen ſich in
Wolken auf, umgeben Fauſt, heben ihn in die Höhe und ziehen mit ihm
vorüber.)
∞Phorkyas
∞(nimmt Euphorions Kleid,
Mantel und Lyra von der Erde, tritt ins Proſcenium, hebt die
Exuvien in die Höhe und ſpricht:)
∞(Sie ſetzt ſich im Proſcenium an
eine Säule nieder.)
∞Panthalis.
9962Nun eilig Mädchen! Sind wir doch den Zauber los.
9963Der alt-theſſaliſchen Vettel wüſten Geiſteszwang;
9964So des Geklimpers viel verworrner Töne Rauſch,
9965Das Ohr verwirrend, ſchlimmer noch den innern Sinn.
9966Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin
9967Mit ernſtem Gang hinunter. Ihrer Sohle ſey
9968Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt.
9969Wir finden ſie am Throne der Unerforſchlichen.
∞Chor.
9970Königinnen freilich überall ſind ſie gern;
9971Auch im Hades ſtehen ſie oben an,
9972Stolz zu ihres Gleichen geſellt,
9973Mit Perſephonen innigſt vertraut;
9974Aber wir im Hintergrunde
9975Tiefer Asphodelos-Wieſen,
9976Langgeſtreckten Pappeln,
9977Unfruchtbaren Weiden zugeſellt,
9978Welchen Zeitvertreib haben wir?
9979Fledermaus gleich zu piepſen,
9980Geflüſter, unerfreulich, geſpenſtig.
∞Chorführerin.
9981Wer keinen Namen ſich erwarb, noch Edles will,
9982Gehört den Elementen an, ſo fahret hin!
9983Mit meiner Königin zu ſeyn verlangt mich heiß;
9984Nicht nur Verdienſt, auch Treue wahrt uns die Perſon.
∞(ab.)
∞Alle.
∞Ein Theil des
Chors.
9992Wir in dieſer tauſend Aeſte Flüſterzittern,
Säuſelſchweben,
9993Reizen tändlend, locken leiſe, wurzelauf des
Lebens Quellen
9994Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüthen überſchwenglich
9995Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.
9996Fällt die Frucht, ſogleich verſammeln, lebensluſtig
Volk und Heerden
9997Sich zum Greifen, ſich zum Naſchen, eilig kommend, emſig
drängend;
9998Und, wie vor den erſten Göttern, bückt ſich alles um uns
her.
∞Ein andrer
Theil.
9999Wir an dieſer Felſenwände weithinleuchtend
glattem Spiegel
10000Schmiegen wir, in ſanften Wellen uns
bewegend, ſchmeichelnd an;
10001Horchen, lauſchen jedem Laute, Vogelſingen,
Röhrigflöten,
10002Sey es Pans furchtbarer Stimme, Antwort iſt ſogleich
bereit;
10003Säuſelt’s, ſäuſeln wir erwiedernd, donnert’s,
rollen unſre Donner
10004In erſchütterndem Verdoppeln, dreyfach, zehnfach hinten nach.
∞Ein dritter
Theil.
10005Schweſtern! Wir bewegtern Sinnes, eilen mit den Bächen weiter;
10006Denn es reizen jener Ferne reichgeſchmückte Hügelzüge,
10007Immer abwärts, immer tiefer, wäſſern wir,
mäandriſch wallend,
10008Jetzt die Wieſe, dann die Matten, gleich den Garten um
das Haus.
10009Dort bezeichnen’s der Cypreſſen ſchlanke Wipfel,
über Landſchaft,
10010Uferzug und Wellenſpiegel, nach dem Aether ſteigende.
∞Ein vierter
Theil.
10011Wallt ihr andern wo’s beliebet, wir umzingeln,
wir umrauſchen
10012Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die Rebe
grünt;
306
10013Dort zu aller Tage Stunden läßt die Leidenſchaft
des Winzers
10014Uns des liebevollſten Fleißes zweifelhaft Gelingen
ſehn.
10015Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit
Häufeln, Schneiden, Binden,
10016Betet er zu allen Göttern, förderſamſt zum Sonnengott.
10017Bacchus kümmert ſich, der Weichling, wenig um
den treuen Diener,
10018Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faſelnd mit
dem jüngſten Faun.
10019Was zu ſeiner Träumereyen halbem Rauſch er je bedurfte,
10020Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und
Gefäßen,
10021Rechts und links der kühlen Grüfte ewige Zeiten aufbewahrt.
10022Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,
10023Lüftend, feuchtend, wärmend, gluthend
Beeren-Füllhorn aufgehäuft,
10024Wo der ſtille Winzer wirkte, dort auf einmal
wird’s lebendig,
10025Und es rauſcht in jedem Laube, raſchelt um von Stock zu
Stock.
10026Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,
10027Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer
kräft’gem Tanz;
10028Und ſo wird die heilige Fülle reingeborner ſaftiger
Beeren
10029Frech zertreten, ſchäumend, ſprühend miſcht ſich’s
widerlich zerquetſcht.
307
10030Und nun gellt ins Ohr der Cymbeln mit der
Becken Erzgetöne,
10031Denn es hat ſich Dionyſos aus Myſterien enthüllt;
10032Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, ſchwenkend Ziegenfüßlerinnen,
10033Und dazwiſchen ſchreit unbändig grell Silenus
öhrig Thier.
10034Nichts geſchont! Geſpaltne Klauen treten alle
Sitte nieder,
10035Alle Sinne wirbeln taumlich, gräßlich übertäubt das
Ohr.
10036Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt ſind Kopf und
Wänſte,
10037Sorglich iſt noch ein und andrer, doch vermehrt er
die Tumulte,
10038Denn um neuen Moſt zu bergen, leert man raſch den alten
Schlauch!
∞(Der Vorhang fällt.)
∞
Phorkyas (im Proſcenium
richtet ſich rieſenhaft auf, tritt aber von den Cothurnen herunter,
lehnt Maske und Schleier zurück und zeigt ſich als Mephiſtopheles,
um, in ſofern es nöthig wäre, im Epilog das Stück zu
commentiren).